„Sicheres Stadionerlebnis“? Stellungnahme der Desorganisierten Sankt Pauli (DSP) #FCSP

Stellungnahme der Desorganisierten Sankt Pauli (DSP), Fanclub des FC St. Pauli, zu dem verkürzt als „Sicheres Stadionerlebnis“ bezeichnetem Arbeitspapier der DFL-Arbeitsgruppe „Kommission Sicherheit“

1. DSP fordert den FCSP auf, das vorliegende Arbeitspapier auf der Mitgliederversammlung der DFL abzulehnen sowie bereits im Vorfeld sich mit anderen Vereinen zu verständigen um zu erreichen, daß auch diese das Papier ablehnen.

2. Die „subjektive Wahrnehmung“ in der Öffentlichkeit darf niemals dazu herangezogen werden, Mitmenschen mit Sanktionen zu belegen oder andere diese belastende Maßnahmen herbeizuführen.

3. Nur die Personen, die tatsächlich, also konkret und im Einzelfall, andere gefährden, dürfen Adressaten einer verhältnismäßigen und im Sinne der Rechtsordnung gerechtfertigten Maßnahme sein. Kollektivstrafen sind nicht hinnehmbar.

4. Es ist darauf hinzuwirken, daß die bislang eingesetzten Mittel „Stadionverbot“ sowie die Datei „Gewalttäter Sport“ umgehend überarbeitet werden, da diese bereits auf bloßen Verdacht Anwendung finden – allein die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist zur Aufnahme in die Datei oder zur Verhängung eines Stadionverbotes momentan ausreichend, was keine Aussage darüber trifft, ob die betroffene Person tatsächlich ein „Gewalttäter“ ist und wobei die verhängten Maßnahmen sogar über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens hinaus verhängt bleiben.

5. Die DFL beabsichtigt, den Vereinen über das Lizensierungsverfahren konkrete Maßnahmen, die unter den Begriff der „Sicherheit“ fallen, in Zukunft direkt vorzuschreiben unter Umgehung des DFB. Aufgrund der gesellschaftlichen Ausnahmestellung des Fußballs sollten Maßnahmen dieses Gewichts aber weiterhin auf breiter Zustimmungsbasis erfolgen. Nur so können etwaige rein wirtschaftliche Interessen an Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit im Stadion zumindest durch die Kontrolle der DFB Mitglieder vermieden werden.

6. Unverhältnismäßige Maßnahmen wie Körperuntersuchungen mit Ausziehen, Nacktscannern oder ähnliche übermäßige und die Menschenwürde einschränkende Kontrollen der Besucher eines Fußballspieles sind zu unterlassen. Bei dem Verdacht des Einschmuggelns gefährlicher Gegenstände darf keine Zivilperson eine intime Untersuchung durchführen oder diese anordnen – derartige Maßnahmen sind allein einer staatlichen Instanz mit der Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung im Nachhinein vorbehalten.

7. Das Erzwingen einer Unterwerfung unter eine „Fancharta“ oder anderer vorgeschriebenen Regeln hat zu unterbleiben. Durch zivilrechtlichen Zwang (AGB, „Fancharta“ o.ä.) dürfen zivilrechtlich nicht abdingbare Rechtsinstitute wie das Recht auf Notwehr (§ 227 BGB) nicht ausgeschlossen oder faktisch aufgehoben sowie nicht durch Sanktionen (z.B. Stadionverbot bei zivil- und strafrechtlich erlaubten Notwehrhandlungen oder gar die Weiterleitung von Geldstrafen deswegen) praktisch eingeschränkt werden.

8. Die Pflicht zur Angabe der Personalien gegenüber der Polizei darf nicht zu einer mittelbaren Pflicht zur Angabe dieser Daten gegenüber der DFL oder anderen privaten Organisationen werden. Die DFL hat kein Verlangen auf Herausgabe aller ermittelten Daten an den Staat zu stellen. Der Datenschutz ist unbedingt zu beachten und darf weder dem Wissenshunger Privater noch einem „subjektiven Sicherheitsempfinden“ geopfert werden.

9. Stehplätze sind ohne jede Einschränkung zu erhalten. Sie sichern die Teilnahme der finanziell nicht so gut gestellten Bevölkerungsgruppen. Die Möglichkeit, ein Fußballspiel im Fernsehen zu verfolgen, ersetzt nicht im gleichen gesellschaftlichem Maße die Möglichkeit, ein Spiel zusammen mit anderen im Stadion zu erleben. Die von der Rechtsprechung anerkannte große gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Fußballs darf nicht durch rein wirtschaftliche Interessen nach einer gewinnoptimierten Vermarktung des Fußballs umgangen werden. Das Fehlverhalten Einzelner, welches, wie die Erfahrung zeigt (Becherwurf im Spiel des FC St. Pauli gegen Schalke, Entzünden von Pyrotechnik in rein für Sitzplätze zugelassenen europäischen Fußballspielen u.v.a.), genauso auch von Sitzplätzen ausgeht, darf nicht zulasten der Allgemeinheit und insbesondere der Stehplätze sowie der wirtschaftlich weniger gut gestellten Bevölkerungsgruppen gehen. Eine kollektive Haftung der Stehplatzinhaber für andere Fans ist abzulehnen.

10. Fanclubs sind ebenfalls von Kollektivstrafen auszunehmen. Kein Fanclub darf für etwaige Aktionen seiner Mitglieder haftbar gemacht werden. Eine zwangsweise Unterwerfung unter aufdiktierte Vorschriften, welche auch noch gegen die Rechtsordnung verstoßen, hat in jedem Fall zu unterbleiben („Fancharta“).

11. Politik gehört ins Stadion. Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, dürfen nicht über den zivilrechtlichen Weg sanktioniert und unterbunden werden. Klärungen diesbezüglich sind über die Straf- sowie die Zivilgerichte herbeizuführen und nicht über den Weg des sportgerichtlichen Verfahrens. Hierzu gehört auch, daß keine Strafen gegenüber Vereinen verhängt werden dürfen, bevor diese nicht auf den normalen Rechtsweg (Straf- bzw. Zivilgericht) abschließend geklärt sind. Die dadurch entstehende Verzögerung ist zur Wahrung des Rechtsfriedens hinzunehmen. „Zero tolerance“ darf nur für eindeutig strafbare Handlungen und Äußerungen gelten, nicht für lediglich subjektiv so empfundene Aktionen, welche rechtlich bereits als von der Meinungsfreiheit gedeckt anerkannt sind. Im Zweifel ist zuvor vor Straf- oder Zivilgerichten eine Klärung herbeizuführen. Gerechtigkeit ist wichtiger als Populismus.

12. Ein Vermummungsverbot im Stadion über die DFL hat zu unterbleiben. Sonnenbrillen, Mützen, Fanschals u.v.a., welche bereits darunter fallen können, sind normale Utensilien, welche insbesondere auch bei Kälte oder Sonneneinwirkung für notwendig zu erachten sind. Auch aus einem einfachen T-Shirt kann eine Vermummung in kürzester Zeit fachkundig herbeigeführt werden, so daß das Verbot nicht die beabsichtigte Gruppe treffen wird und damit unverhältnismäßig ist. Außerdem ist das Vermummungsverbot bereits im Versammlungsgesetz geregelt. Das Bestreben, die totale Überwachung der Besucher eines Fußballspieles durch vollständige Videoerfassung und anderer Techniken zu erreichen, hat hinter den Bedürfnissen der Menschen, sich so zu kleiden, wie sie es für richtig halten, zurückzustehen. Nur bei Gegenständen, welche ausschließlich dem Zweck der Vermummung dienen und die keine andere Funktion haben könnten, könnte eine andere Handhabung diskutiert werden.

13. Sämtliche Regeln in Stadionordnungen o.ä. unterliegen den gleichen Anforderungen wie alle AGB. Es sollten keine Vorgaben für AGB von der DFL, insbesondere nicht im Wege der Lizensierungsbedingungen, gemacht werden, welche den zivilrechtlichen Bestimmungen nicht entsprechen.

14. Die Erstellung eines detaillierten Strafkataloges für etwaige Verfehlungen der Vereine sollte Grundvoraussetzung für jede Strafe sein sein. Keine Strafe ohne Gesetz. Bei einer für möglich gehaltenen Weiterleitung einer Strafe an eine Einzelperson sollte der Anteil der Strafe, welche die Schuld und die persönlichen Umstände des Einzelnen berücksichtigt, konkret bezeichnet und der betroffenen Person zur Wahrung seiner Interessen die Möglichkeit gegeben werden, am Verfahren teilzunehmen. Das Ergebnis dieses Verfahrens darf für die betroffene Einzelperson nicht bindend sein, sondern soll nur eine ausufernde Haftung in einem etwaigen nachfolgenden Zivilprozeß von vornherein begrenzen.

15. In allen anderen Fällen, bei denen eine Fortwirkung auf Dritte (Fans/Besucher) in einem anderen Verfahren auszuschließen ist, hat sich die Sportgerichtsbarkeit herauszuhalten. Stadionverbote sollen auf dem normalen Rechtsweg nachprüfbar werden. Maßnahmen der DFL gegen Dritte sind allein vor ordentlichen Gerichten zu verhandeln.

16. Die in dem Papier erwähnte Forderung an den Gesetzgeber, für eine „Anpassung des Sprengstoffgesetzes im Hinblick auf Pyrotechnik“ zu sorgen, zeigt nebenbei deutlich auf, daß nur der Gesetzgeber diese Bestimmungen trifft und nicht ein Fußballverband. Im Rahmen der vom Gesetzgeber vorgegebenen Möglichkeiten obliegt es den Fußballspielen Beteiligten, Verbänden wie Fans bzw. deren Vertreter, eine Lösung beim Einsatz von Pyrotechnik herbeizuführen. Ob hierbei ein totales Verbot oder etwas anderes am Ende steht, ist Sache der Beteiligten. Der Ruf nach dem Gesetzgeber wirkt hier etwas hilflos, insbesondere im Anbetracht der Tatsache, daß der DFB sich beim Abbruch der Gespräche mit Fanvertretern auf die angeblich jeglichen Einsatz von Pyrotechnik verbietende Gesetzeslage berufen hat. Wenn Pyrotechnik im Stadion legal eingesetzt werden kann, sollte eine Lösung nicht von oben diktiert, sondern von allen Beteiligten gemeinschaftlich gesucht werden.

17. Fans und ihre Vertreter dürfen nicht auf eine potentielle Störer-Rolle reduziert werden, sondern sollten auf Augenhöhe bei den Gesprächen, die sie betreffen, beteiligt werden. Nur eine solche Vorgehensweise berücksichtigt den hohen gesellschaftlichen Stellenwert des Fußballs.

18. DSP erwartet vom Verein, daß die Rolle der Mitwirkung des FC Sankt Pauli, insbesondere durch Herrn Stenger, an dem Arbeitspapier „Sicheres Stadionerlebnis“, welches als für alle Fußballfans unzumutbares und untragbares Produkt angesehen wird, dargelegt wird. Noch mehr wird aber erwartet, daß die Vereinsführung die Umsetzung des Arbeitspapieres nach Möglichkeit verhindert.

Die Desorganisierten Sankt Pauli (DSP)

Weitergehende Infos: 1. das genannte Papier: https://www.dropbox.com/s/b0tekb3hz5o7rqf/Kommission%20Sicherheit_Mitgliederversammlung_27%2009%202012.pdf,
2. Kommentare und weitere Stellungnahmen dazu:
http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1372916,
http://www.breitseite-stpauli.de/files/stellungnahmezumkonzeptsicheresstadionerlebnis.pdf,
https://www.dropbox.com/s/7atogbmw8youyw1/2012-10-14_Sicherheit-Statement-LMSP.pdf,
http://ostblocksanktpauli.wordpress.com/2012/10/15/fazit-zum-dfl-sicherheitspapier/,
http://www.stpauli-forum.de/viewtopic.php?p=3504897#8,
http://lichterkarussell.net/nix-sicherheit-its-vermarktung-stupid/,
http://dingediedasind.blogsport.de/2012/10/09/non-established/,
http://stpauli.nu/supporters-in-action/sicheres-stadionerlebnis-nu-auch-du-gernot,
http://www.magischerfc.de/wordpress/?p=6658,
http://basch.blogsport.de/2012/10/10/archiv-basch-19-vorwort/,
http://www.publikative.org/2012/10/11/sicherheitsleak-das-dfl-papier-sicheres-stadionerlebnis-zum-nachlesen/,
http://nur-der-scf.de/wordpress/was-ist-der-dfb-noch-wert/,
http://metalust.wordpress.com/2012/10/15/stellungnahme-der-desorganisierten-sankt-pauli-dsp-zu-dem-als-sicheres-stadionerlebnis-bezeichnetem-arbeitspapier-der-dfl-arbeitsgruppe-kommission-sicherheit/
sowie meine Ausführungen unter http://kleinertod.wordpress.com/2012/10/07/langst-nicht-am-ende-fcsp-gegen-union-dead-can-dance-und-fanclub-delegierten-versammlung/.

Nachtrag: http://www.fc-union-berlin.de/data/misc/downloads/Positionierung%20des%201.%20FC%20Union%20Berlin%20e.V._.pdf ist einfach in positiver Hinsicht der Hammer. Danke!
Schön dazu auch http://metalust.wordpress.com/2012/10/17/bitte-so-was-auch-mal-von-unserem-prasidium-moglichst-einem-anderen/.

Ebenfalls unbedingt lesenswert ist – auf Englisch – ein das Arbeitspapier vernichtender Bericht aus gerade jenem Land, dessen Vorbild die DFL nacheifern will: http://yorkshirestpauli.com/2012/10/17/opinion-why-the-secure-stadium-experience-is-anything-but/. Ergänzend dazu wurde von dieser Seite auch der hashtag #BBCPriceofFootball bei twitter genannt, wirklich gruselig. Solche Verhältnisse hierzulande? Auf keinen Fall!

Der FCSP hat nun auch dazu Stellung bezogen. Weiter geht es hier: http://kleinertod.wordpress.com/2012/10/18/fcsp-sagt-nein-zum-dfl-papier-sicheres-stadionerlebnis-uberwiegend-zumindest/.