Zum Thema Gästeverbot, FCSP und Hansa Rostock gab es viel zu lesen und auch ich hatte bereits einiges darüber geschrieben – doch es ist nach wie vor noch einiges zu erzählen, weswegen ich meinen letzten Beitrag http://kleinertod.wordpress.com/2012/04/16/wohin-geht-die-reise-gastefans-datei-gewalttater-sport-und-der-fcsp/, auf den ich zum Thema allgemein erstmal verweisen möchte, nicht einfach noch einmal ergänzen möchte – hier ist aus guten Gründen ein neuer Blogeintrag fällig.
Meine erste Reaktion auf den Aufruf von USP, http://usp.stpaulifans.de/2012/04/wenn-das-der-frieden-ist-muss-man-den-krieg-nicht-noch-erfinden/, das Spiel gegen HRO nicht im Stadion, sondern auf dem Südvorplatz zu verbringen, war, daß ich diese Form des Protestes für wenig sinnvoll erachtet habe. Und dies möchte ich ersteinmal etwas ausführen.
Den Protest gegen den Weg der Polizei in Hamburg, das Hochsicherheitsspiel zwischen dem FC St. Pauli und Hansa Rostock dadurch zu „befrieden“, indem den Gästefans kein Zugang zum Millerntor gewährt wird (über den Verbot des Verkaufs von Karten an Gästefans), halte ich für absolut notwendig. Diese Polizeimaßnahme ist mit Sicherheit kein Einzelfall, sondern nur bisher einmalig in Deutschland und reiht sich in die bislang nur recht verhalten erklungenen Forderungen nach Abschaffung von Stehplätzen in Stadien und dem Verbot sämtlicher Gästefans bei Fußballstadien nahtlos ein. Mehr noch, es ist ein erster Schritt dahin unter dem Deckmantel der Sicherheit. Wie wenig die im Eilverfahren damit beschäftigten Verwaltungsgerichte die Tragweite dieser Entwicklung im Einzelfall verstanden haben, zeigt die Abwägung zwischen als rein finanzielle Interessen des Veranstalters ausgemachte eine Wagschale und das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit auf der anderen Seite, wobei letzteres alles überwiegen würde. Mit dieser Sichtweise und Argumentationskette dürfte die Polizei eigentlich gleich eine totale Ausgangssperre für alle Bürger verhängen. Oder aber, um mal ein naheliegenderes Beispiel zu bringen, sämtliche Stehplätze in Stadien sowie alle Gästefans bei Fußballspielen untersagen – bei jedem Spiel, zumindest aber bei als „Problemspielen“, bei denen nicht auszuschließen ist, daß es zu Rechtsverstößen kommt. Hier gilt es, eindeutig Position zu beziehen – und zwar jetzt, wo dieser erste Stein des Fundamentes gelegt werden soll, nicht erst dann, wenn das Gebäude schon unverrückbar für alle Zeiten da herumsteht. Also: ein eindeutiges JA! zum Protest gegen diese Verfügung muß an diesem Spieltag erfolgen.
Aber warum dann während des Spieles draußen bleiben? Eine größere Medienaufmerksamkeit erreicht man schließlich kaum über einen unsichtbaren Protest außerhalb des Stadions, wo keine Kamera steht. Protestbanner auf den Rängen kommen da doch zumindest für ein paar Augenblicke ins Bild – und für eine Demo vor und/oder nach dem Spiel wäre ja immer noch Zeit, zumal unsere Mannschaft die Unterstützung nicht nur gut gebrauchen kann, auch die Vereinsführung hat durch ihren Kampf gegen die Verfügung bislang alles richtig gemacht, so daß diese Protestform für mich wenig einleuchtend war. Wobei ich sehr wohl verstanden habe, daß eine solche Protestform auch ein deutliches Zeichen ist und in der Sache nicht nur absolut gerechtfertigt ist, es gibt ja auch Gründe, die dafür sprechen. Entsprechend hatte ich dies auch kurz gebloggt, Verständnis für den Protest geäußert und meinen Protest im Stadion sowie vor und nach dem Spiel angekündigt – sowie mich auf Diskussionen zum Thema eingelassen.
Etwas verwundert stellte ich dabei rasch fest, daß ich gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen am Diskutieren war – und zwar einerseits den Protest wie auch diese Form sowie USP nebst anderen Fangruppen vom FCSP argumentativ verteidigte und andererseits mein Verständnis für einen Support über diese 90 Minuten zusammen mit den Protest am begründen war. Auf die Tiefpunkte in beiden Richtungen will ich hier nicht eingehen, hier hat wohl jeder längst mitbekommen, daß es davon derzeit mehr als genügend gegeben hat. In mir wuchs aber schnell die Erkenntnis, daß ich weit davon entfernt war, den für mich (nicht für alle!) richtigen Weg an jenem Spieltag zu erkennen. Eine lange Zeit des Grübelns begann. Die anschließende Nacht verlief für mich deswegen nahezu schlaflos, ich konnte einfach nicht aufhören, mir über dieses Thema Gedanken zu machen. Und auch das, was danach kam, beeinflußte mich. Zeit, nun einen Nachtrag zu schreiben.
Mittlerweile bin ich davon überzeugt, daß der Protestweg von USP die exakt richtige Maßnahme ist – inklusive dieser Ankündigung im Vorfeld. Die Medien haben darauf reagiert und das Thema bereits im Vorfeld aufgegriffen – was bei einer Demo außerhalb der Spielzeit wohl kaum der Fall gewesen wäre. Anlaß hierfür war nicht nur die Ankündigung von USP, sondern die erneut hilflose Reaktion der Polizei darauf, die rund um das Millerntor ein Gefahrengebiet ausgerufen hat, siehe dazu http://www.presseportal.de/polizeipresse/pm/6337/2237381/pol-hh-120419-2-pressemitteilung-der-polizei-hamburg-anlaesslich-der-fussballbegegnung-fc-st-pauli/gn – und dies im Widerspruch zu ihrer Verfügung des Gästeverbotes, den sie dadurch begründet hatte, daß nur dadurch die Sicherheit hergestellt werden könne, jetzt zugestehen muß, daß die Sicherheit jetzt erst recht gefährdet ist. Eigentlich eine Bankrotterklärung allererste Güte, was selbst die polizeifreundliche presse so sieht: http://www.mopo.de/polizei/krawalle-befuerchtet-am-sonntag–polizei-erklaert-st–pauli-zum-gefahrengebiet,7730198,14953406.html zur Fehleinschätzung der Folgen des Verbotes durch die Polizei und auch http://mobil.abendblatt.de/sport/fussball/st-pauli/article2252621/Polizei-befuerchtet-Krawalle-bei-St-Pauli-gegen-Rostock.html verweist (ohne Wertung jedoch) darauf, daß nun ein massives Aufgebot an Einsatzkräften nötig sei. Wo also bleibt da der Erfolg des Gästeverbotes? Schon allein durch die Ankündigung von USP, insbesondere auch in Kombination mit der Anmeldung der Demonstration von HRO am gleichen Tag (Nachtrag: erwartungsgemäß wurde eine geänderte Demoroute durch Altona genehmigt durch das OVG: http://justiz.hamburg.de/oberverwaltungsgericht/3385534/pressemeldung-2012-04-20-ovg04.html – siehe auch https://quotenrock.wordpress.com/2012/04/21/fcsp-fchansa-die-kogge-geht-zu-fusovg-hamburg-legt-alternative-demoroute-fest-only-temp-yours-beware-of-beerkillin-crowd/), ist der polizeiliche Supergau eingetreten: die Sicherheitslage hat sich durch das Gästeverbot und die Reaktionen auf dieses Verbot nur noch verschlechtert und die Polizei muß mehr Einsatzkräfte an mehreren Fronten zur Verfügung stellen, als wenn das Spiel wie gewohnt mit Gästefans abgelaufen wäre. (Nachtrag: Hinzu kommt, daß die zeitgleich protestierenden Fangruppen von FCSP und HRO offiziell getrennt sind, ein etwaiger Zusammenstoß also im Widerspruch zu den Ankündigungen beider Lager stehen würde.) Also, USP: alles richtig gemacht.
Natürlich besteht am Sonntag selbst die Gefahr, daß es zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und auch zwischen den Fangruppen kommen wird – und es steht zu befürchten, daß die Polizei in den Gefahrengebieten quasi um jeden Preis Krawalle schon im Vorfeld (also bevor die Fans damit angefangen haben) zu unterbinden versuchen wird. Sprich: nicht zu einer Beruhigung der Situation beitragen wird.
Die Vereinsführung hat sich auch zu Wort gemeldet und leider den gleichen Fehler begangen, den so viele FCSP Fans in diesen Zusammenhang begehen und das nicht nur zu dem bevorstehenden Spieltag: der – zum Teil auch nur indirekte – Vorwurf an USP aufgrund der Vorkommnisse bei der Blockade der Süd. Leute, USP sowie die anderen beteiligten Fangruppen haben schon längst aus diesem Fehler gelernt, ihn als solchen erkannt, sich entschuldigt und nicht nur diesen nicht mehr wiederholt, es ist auch nicht zu erwarten, daß sie dies noch einmal machen werden. Wer etwas anderes erwartet oder unterstellt, trägt nur zu einer fortlaufenden Spaltung der Fanszene durch eine unversöhnliche Geisteshaltung mit – und hat sicherlich auch bei jeder Erwähnung von Ultra-Kultur eine geballte Faust in der Tasche. Hilft uns das weiter? Ausgerechnet jetzt, bei diesem Thema? Es geht nicht darum, ob man die Ultra-Kultur mag oder ablehnt oder ob USP damals falsch gehandelt hat oder nicht. Es geht um die polizeilichen Maßnahmen, die irgendwann zu einerm Verbot sämtlicher Gästefans und auch Stehplätze führen könnten. Und, ja, es betrifft damit genauso auch die Gegengeradensteher. Wacht auf! (Wobei die, die das wissen und den Protest im Prinzip unterstützen, sich bitte jetzt nicht angesprochen fühlen brauchen – auch nicht jene, mit denen ich das schon diskutiert habe).
Leider haben die Worte des Vereins http://www.fcstpauli.com/magazin/artikel.php?artikel=11263&menuid=1 in den Medien den Eindruck entstehen lassen, als ob der Verein gegen Proteste zu diesem Thema wäre und insbesondere auch den Eindruck entstehen lassen, als ob es einen falschen (friedlichen) Weg bei dem Thema geben würde. Dies wird dadurch umso deutlicher, als daß USP im Aufruf allen Fans die Freiheit zur Wahl der Protestform und des Spielbesuchs eingeräumt hat, während der Verein sich gegen den Protest von USP öffentlich gestellt hat. Aber so, wie jeder Fan die Freiheit hat, auf welche Weise auch immer am Protest teilzunehmen oder das Spiel zu besuchen, so haben die Fans auch die Freiheit, den Protest nicht zu unterstützen sowie auch, das Spiel nicht zu besuchen. Wobei, wie http://metalust.wordpress.com/2012/04/20/solidaritat-mit-usp-gegen-den-autortaren-charakter/ zutreffend vermerkt, dadurch zudem auch noch der Eindruck erweckt wurde, als ob Spielbesuch UND Protest gar nicht zusammen gehen würde.
Für mich hat sich damit eine deutliche Tendenz dahingehend ergeben, daß eine Solidarität mit dem Protest gegen den Sicherheitswahn allein im Stadion schwer zu vermitteln ist. Zumindest für eine gewisse Zeit draußen zu bleiben – ob nun für eine Viertelstunde, eine Halbzeit, das ganze Spiel über oder wie auch immer – halte ich mittlerweile für notwendig. Ebenso, wie daß dieser Protest FRIEDLICH bleiben muß. Bitte hierzu auch die Worte vom Fanclubsprecherrat lesen:
An alle Fanclubs des magischen FC,
ernste Worte sind von Nöten und wir alle haben uns eine andere Situation gewünscht als diejenige, die nun zum nächsten Heimspiel gegen Hansa Rostock entstanden ist:
– Eine Hamburger Polizei, die erstmalig erfolgreich den Verkauf von Gästekarten verboten hat. Somit ein Spiel ohne Gästefans.
– Ein Gericht, welches sich nicht in der Lage sah, den Einschnitt in die Freiheit von Fußballfans und ihres Verbands in dieser Dimension zu sehen und zu unterbinden.
– Eine Fandemo der Rostocker Fanszene quer durch Altona und St. Pauli.
– Ein Boykott des Spiels durch große Teile der organisierten Fanszene des FC St. Pauli und eine Protestversammlung auf dem Südkurvenvorplatz während des Spiels.
– Eine Hamburger Polizei, die somit eine Situation vorfindet, die nur noch mit einem Großaufgebot von Sicherheitskräften kontrollierbar erscheint.
– Und daneben noch der Frühlingsdom.Wir vom FCSR schätzen diese Gesamtsituation als äußerst instabil und somit gefährlich ein und wollen euch ein paar Dinge ans Herz legen:
Überlegt euch genau, was ihr an diesem Tag machen wollt:
– Geht ins Stadion, um das Spiel zu sehen, wenn ihr euch an Protestaktionen nicht beteiligen oder diesen Protest ins Stadion tragen wollt.
– Bleibt draußen und kommt zum AFM Container, um ein Zeichen zu setzen.
Wir haben da keine Empfehlung und schreiben niemandem vor, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Aber versucht an diesem Tag möglichst nichts allein zu machen. Achtet aufeinander und versucht euch bereits bei der Anreise zum Stadion zusammenzufinden.
– Meidet das Domgelände.
– Lasst euch nicht provozieren.
– Helft anderen Fans, wenn sie in Auseinandersetzungen verwickelt sind.
– Lasst Kleinkinder an diesem Tag zu Hause.
– Und vor allem versucht nicht, die Fandemo der Rostocker in irgendeiner Art zu stören oder zu begleiten. Es ist ihr gutes Recht ihren Unmut über die Verfügung der Polizei kundzutun. Es ist aber auch unser gutes Recht, unsere eigenen Wege zu finden, unseren Unmut darüber auszudrücken.Natürlich ist es richtig, unsere Faninstitutionen wie den Fanladen, das Jolly Roger und andere vor Angriffen zu schützen, sollte es zu solchen kommen.
Alle Auseinandersetzungen darüber hinaus mit Fans von anderen Vereinen lehnen wir entschieden ab! Und an diesem Tag ganz besonders!Wir sagen es noch einmal ganz deutlich: Die Wut über diese Entscheidung richtet sich, was uns als FCSR betrifft, nicht gegen die Rostocker Fanszene, nicht an die beteiligten Vereine, die sich vorbildlich verhalten haben, in diesem Fall auch mal nicht an den DFB, sondern ausschließlich an die Sicherheitsbehörden, die einen Präzedenzfall geschaffen haben, der alle Fußballfans in Deutschland betrifft.
Wir wünschen euch trotzdem einen schönen Spieltag und unserer Mannschaft drei Punkte.
Euer FCSR
Eine gute Übersicht bieten http://ballesterer.at/index.php?art_id=1838 und http://blog.uebersteiger.de/2012/04/19/gefahrengebietsdemonstrationsverlierer/ mit weiteren links zum Weiterlesen. Hervorheben möchte ich noch http://www.magischerfc.de/wordpress/?p=6228. Auch AFM hat eine Stellungnahme abgegeben: http://www.fcstpauli-afm.de/c/afm/index.php?id=aktuelles_artikel&tx_ttnews[tt_news]=675. Und als Protest gegen die Anordnung des Gefahrengebietes wird zum Spaziergang aller Anwohner aufgerufen: http://de.indymedia.org/2012/04/328575.shtml – St. Pauli besteht eben nicht nur aus dem Verein, wobei ich hoffe, daß es hier wirklich nur bei einem Spaziergang bleibt. Die politischen Hintergründe hinter diesem Sicherheitswahn zeigt http://www.publikative.org/2012/04/22/st-pauli-vs-hro-police-and-thieves/ lesenswert auf.
Auf, FCSP, zum friedlichen Protest gegen den Sicherheitswahn!