Eine Auswärtsniederlage kann passieren, dabei aber sang- und klanglos unterzugehen und sich das Torverhältnis zu verderben, welches im Kampf um den Klassenerhalt mitentscheidend ist, das ist schon heftig. Noch immer haben wir dank der Niederlage von Karlsruhe fünf Punkte Abstand zu einem möglichen Abstiegsplatz, direkt können wir auch nicht mehr runter, aber in zwei Spieltagen sind diese fünf Punkte absolut machbar für Mannschaften, die es wissen wollen. Und eben umgekehrt auch nicht abzusehen, wie wir noch was holen wollen, wenn wir so grottenschlecht auftreten wie beim 4-0 gegen Hannover oder insgesamt nach der Corona-Zwangspause. Da ist eine tiefe Verunsicherung in der Mannschaft zu erahnen – per sehr ungenauer Ferndiagnose vom Bildschirm aus – und viele Spieler liefern derzeit weit unter ihren Möglichkeiten ab. Das kann mensch diesen Spielern anlasten oder aber auch mal den Trainer in Frage stellen.
Selten war bei uns ein Trainer so umstritten wie Jos Luhukay. Für die eine Seite scheint er so etwas wie ein Heilsbringer zu sein, der aus dem bei uns ausgemachten Problembereich endlich etwas zu machen versucht und dabei volle Unterstützung verdient. Nahezu sämtliche auftauchende Probleme werden anderen angelastet, der Vereinsführung, den Spielern, den Fans, die nicht mehr wollen und so weiter, aber selten dem Trainer selbst. Für die andere Seite scheinen seine menschlichen Qualitäten nicht nur nicht zu unserem Verein zu passen, auch der Abwärtstrend vieler Spieler wird einer Unfähigkeit im Umgang mit den Spielern zugeschrieben. Und die Verantwortung für die schlechte Leistung auf dem Platz oder Schwierigkeiten bei Spielern werden dort gesucht, wo direkter Einfluß darauf genommen werden kann, nämlich vor allem beim Trainer.
Wie es eigentlich immer so ist, beide Seiten haben ihre Argumente und nicht gänzlich unrecht. Sportlich liefert die Mannschaft über die ganze Saison recht ansehnlichen Fußball, natürlich mit Totalausfällen wie diesem Grottenkick in Hannover, solche Einzelspiele rutschen ja immer mal im Laufe einer Saison irgendwie so durch. Persönlich gefällt mir sehr, daß wir spielerisch eine Idee haben und dies nicht nur in der Spielzerstörung mit Kontern liegt, unter Jos können wir, wenn der Gegner es läßt, das Spiel machen und uns Chancen erspielen. Auffällig ist aber auch, wie viel Personal wir unter ihm verschlissen haben, Spieler wie Kalla, die einen einzigen Fehler machen und seitdem nichtmal mehr auf der Bank sitzen dürfen für den Rest der Saison oder Leistungsträger wie Mats oder Diamantakos, die es zu anderen Vereinen zieht und andere es ihnen womöglich noch nachmachen werden, das ist kein Zeichen für ein gutes Zusammenwirken von Spielern und sportlicher Leitung. Gleiches gilt für einst starke Spieler, die nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein scheinen, sowie andere, bei denen nach der Zwangspause die Leistungskurve klar nach unten zeigt. Andere Vereine, beispielsweise Bochum, sind viel stärker aus der Pause hervorgekommen als zuvor, wir hingegen gehören zu denen, wo sportlich und kämpferisch viel weniger zusammenzupassen scheint als vorher. Gerade die aktuelle Form ist nicht irgendeiner Mentalität der Spieler zuzuschreiben, hier ist vor allem anderen der Trainer in die Verantwortung zu nehmen.
Sehr schwierig finde ich es, wenn Jos sich jede Kritik an ihm selbst verbittet und auf die Spieler zeigt, wie auch in der Pressekonferenz nach dem Spiel. Es sei bei uns das Problem, daß die Spieler immer geschützt und der Trainer den Unmut abbekomme – von einem, der selbst ziemlich deutlich die eigenen Spieler auch öffentlich kritisiert, ist das für mich kein akzeptables Verhalten. Sicher kann ein Trainer darauf hinweisen, wenn die Spieler nicht die Leistung erbracht haben, die der Trainer haben wollte – die Veranwortung dafür aber immer nur einseitig bei den Spielern zu suchen, das ist gerade das Verschließen der Augen vor der komplexen Situation, die die Luhukay-Befürworter so gerne anführen. Eine gute Führungskraft stellt sich gerade in Krisenzeiten öffentlich vor die anderen, hier könnte ein Trainer von dem Kollektiv sprechen, welches nicht die von allen gewollte Leistung aufs Feld gebracht hat. Die Spieler einzeln oder insgesamt als nicht gut genug darzustellen, das klingt danach, den eigenen Hals auf Kosten anderer retten zu wollen und stößt mir ganz übel auf.
Sicher standen die Fehler auf dem Platz durch die jeweiligen Spieler nicht im Plan von Jos, aber wenn so wenig zusammenkommt und von der Bank keine Korrektur kommt, die das irgendwie ändert, dann liegt es an allen. Und wenn sich der Trainer danach quasi als einziger ausgenommen sehen will und die öffentliche Kritik an die Spieler gerichtet sehen will, dann verstehe ich, bzw. ich ahne, warum womöglich die Spieler mit Jos nicht können und ihre Leistung hakt und Fehler passieren.
Jetzt gilt es, daß alle nochmal zusammenstehen, sich zusammenreißen und diese Saison so gut wie möglich zu einem Abschluß bringen, der den Klassenerhalt bedeutet. Danach wäre es an der Zeit, jede einzelne Position in diesem team zu hinterfragen, Spieler, Trainer, Sportchef, alle anderen im Verein. Viele Verträge laufen aus, manche sollten geprüft werden, ob sie so weiterlaufen sollten – und da nehme ich niemanden aus, Spieler ebensowenig wie den Trainer. Von außen wirkt es auf mich so, als wäre es an der Zeit, es mit einem neuen Trainer dann zu versuchen, aber eben auch mit anderen Spielern, einigen zumindest – und wenn der eine oder andere hier weitermacht, dann bitte auf eine Weise, die mit dem FCSP in Einklang zu bringen ist, sowohl, was den Einsatz als auch die Menschlichkeit betrifft. Zum Glück treffe ich hier keine Entscheidungen, da bin ich ahnungslos und emotional, so als Fan vor dem Monitor. Selbst die Stadionnähe geht ja gerade vollkommen ab, wie soll ich da ernsthaft eine fundierte Einsicht haben können. Was ich aber weiß: wir sollten es besser machen.
Aber erst brauchen wir mindestens noch einen Punkt. Vielleicht sogar zwei. Mit ganz viel Glück reichen die aktuellen Punkte auch, aber darauf können wir uns nicht verlassen. Alle zusammen also nochmal alles geben auf den letzten Metern. Für unseren Verein. Für all die Menschen, für die dieser steht. Für St. Pauli.
Mehr, zum Spiel oder auch nur zur Situation:
http://millernton.de/2020/06/18/macht-dass-es-aufhoert/
https://www.magischerfc.de/2020/06/unser-tag-wird-kommen/
https://fcspsouthendscum.wordpress.com/2020/06/18/matchday-32-hannover-96-vs-fc-sankt-pauli-4-0/