#FCSP – vom Auf und Ab in Dresden und die Wertediskussion

Nicht nur die Wahl in Sachsen, auch der Auftritt der Heimkurve und der Ordner in Dresden haben gezeigt, daß der Fußball alles andere als die Hauptsache darstellt. Und damit meine ich nicht das Ergebnis (den einen Punkt hätte ich wie viele andere vor dem Spiel sofort bereitwillig akzeptiert, der Spielverlauf läßt das 3-3 jedoch eher wie eine Niederlage aussehen). Das ist in diesen Tagen wirklich nicht das, was uns Sorgen bereiten sollte – sondern vielmehr die Bereitschaft rund eines Viertels der Bevölkerung, vor allem eben im Osten, ihre Stimme denen zu geben, die immer offener und immer weiter ganz radikal rechts marschieren. Den Anfängen kann mensch hier schon lange nicht mehr Einhalt gebieten, aber das ändert nichts an der Notwendigkeit, den Faschismus entschieden zu bekämpfen. Und zwar überall. Eben auch im Stadion. Jeden Tag.

Daß der FCSP für gewisse Werte steht, dürfte hinlänglich bekannt sein. Schwierig wird es allerdings im Detail, denn auch wenn manches greifbar gemacht wurde, beispielsweise durch die Stadionordnung oder die vor 10 Jahren gemeinschaftlich erstellten Leitlinien, so haben wir es doch mit mehreren Faktoren zu tun, die ein stetes Nachjustieren erforderlich machen. Es kommen und gehen in einer Fanszene über die Jahre natürlich fortlaufend Menschen, immer wieder sind auch neue Zuschauende dabei, sowohl daheim als auch auswärts. Und dann gibt es noch neben der Fanszene den Verein als solchen, Mitglieder, Vereinsführung, Mitarbeiter und Kooperationspartner – und daraus die sich ergebende Frage, wie diese Werte kommuniziert und verwirklicht werden.

In den Leitlinien heißt es unter anderem: „Sponsoren und Wirtschaftspartner des FC St. Pauli und deren Produkte sollen im Einklang mit der gesellschaftlichen und vereinspolitischen Verantwortung des Clubs stehen. Näheres regeln die Vermarktungsrichtlinien.“ Diese Schwammigkeit hat schon kurz nach Verabschiedung der Leitlinien zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung zwischen Vereinsführung und Fanszene geführt, die unter dem Slogan „Bring Back Sankt Pauli“ bekannt wurde und den Jolly Rouge ans Millerntor ziehen sah. Seitdem sind viele Jahre ins Land gezogen, die Vereinsführung ist längst eine andere, hat sich gar aus der aktiven Fanszene selbst rekrutiert, aber immer noch gibt es Schwierigkeiten im Spannungsfeld des wirtschaftlich notwendigen Zusammenarbeitens mit Dritten und eben der Frage, ob und wie dieses eventuell nachzujustieren wäre. Aus diesem Grund hat der FCSP zur Veranstaltung (M)Ein Verein – Marketing/Sponsoring und Werte beim FC St. Pauli, siehe https://www.fcstpauli.com/news/m-ein-verein-mit-den-themen-marketing-sponsoring-werte-beim-fc-st-pauli/, geladen. Da dieses Thema keine geringe Bedeutung in meinen Augen hat, bin ich dort gewesen und möchte die Veranstaltung hier in gewissen Auszügen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) für alle Interessierten, die nicht dabei waren, wiedergeben.

Wie schon aus dem Titel der Veranstaltung ersichtlich war die Wertediskussion auf den Bereich Marketing und Sponsoring beim FCSP beschränkt. Ein Moderator, sowie jeweils ein Vertreter vom Fanladen, von der AFM sowie von der Marketing-Abteilung sowie vom Vertrieb des Vereins waren auf dem Podium, während sich im Ballsaal diskussionsfreudige Fans versammelten. Und schon bei dieser Zusammenstellung wurde das Problem deutlich, daß hier allein Männer auf dem Podium waren, was auch entsprechend kritisiert wurde – es wäre natürlich auch machbar gewesen, Frauen hier aktiv ainzubinden, was leider versäumt wurde. Nach der Eröffnung stellte sich der Vertrieb mit seinen Aufgaben Eigenvermarktung, Sponsoring, Ticketing und Catering vor. Im Rahmen der Leitlinien heißt es dabei aktiv auf Sponsoren zuzugehen, da es davon nur wenige gibt und nicht alle in unserem Sinne akzeptabel sind. In zwei Wochen wird potentieller Sponsor in einem „deep check“ überprüft. Daß es dabei oder bei den von Vereinsseite produzierten Merchandise nicht immer gut geht, ist bekannt. Als positives Beispiel ist definitiv das CSD T-Shirt in diesem Jahr zu erwähnen, was sowohl eine deutliche Botschaft im Sinne der Werte unseres Vereins transportiert, als auch als solches auf uns zurückkommt.

Im Anschluß stellte sich die Marketing-Abteilung mit ihren Aufgaben Außendarstellung der Marke FCSP und der Herstellung von Attraktivität für Sponsoren vor. Ein Schwerpunkt ist bei all dem, Fehler zu vermeiden wie bei sexistischen Sprüchen auf Banden etc. – auch im Interesse der Sponsoren. Als positives Beispiel wurden die Kontrastreduzierung auf die ausdrücklich willkommen geheißende Rückmeldung bei den LED Banden aufgeführt. Ewald ist hier Teil des teams, ein Wertebotschafter. Aktionen wie Anti-Fa zielen auf Sympathisanten des FCSP und dienen dadurch der Bestätigung der Marke, die in den 80ern und 90ern durch Privatfernsehberichte in der Wahrnehmung deutschlandweit geprägt wurde. Hier soll eine Mitgestaltung im Sinne weiterer Entwicklung in der öffentlicher Wahrnehmung erreicht werden.

Erste kritische Anmerkungen kamen vom AfM-Vertreter. Diskussionen über Werte im Verein dürfen nicht als lästig empfunden werden, sondern als positiver Bestandteil ebendieser Werte. Sicher sei ein Spagat erforderlich für den sportlichen und wirtschaftlichen Erfolg. Auf Sponsoren hat der Verein keinen direkten Einfluß, manches kann vorab verhindert werden wie sexistische Werbung im Stadion, anderes nicht – aber immer fällt ein negatvier Auftritt eines wirtschaftlichen Partners auch auf den FCSP zurück, wenn dieser sich kritisch verhält, dies nun im Stadion oder außerhalb geschieht. Mitunter erfolgt dann eine öffentliche Positionierung, was kein anderer Profiverein so unternimmt, manchmal nur intern, denn die Möglichkeiten sind beschränkt: interne Ansage an Sponsor (vermeidet Aufmerksamkeit für derartige Kampagnen), öffentliches Intervenieren (Astra als Beispiel, verprellt evt. Sponsor) oder die juristische Möglichkeit (beispielsweise Kündigen des Sponsors, zu prüfen, um etwaige Schadensersatzforderungen zu vermeiden oder so oder so aus Prinzip und dann solche in Kauf zu nehmen. Was sich ja manche bei UA wünschen). Dann gibt es Gäste im Stadion, wie die Mietenden der Separees, Susis Showbar ist hier sicher noch allen in Erinnerung. Auch hier kann der Verein intervenieren. Angesprochen wurden auch die Freikarten für Grote etc. und der Merchfail diese Saison („Totenkopf“). Es seien vorhandene Gruppen im Verein besser einzubeziehen um Inhalte in Merch einzubringen. Verbesserungsbedarf besteht weiterhin, wie Rosa für Frauen oder ähnliches, immer noch im Programm. Und auch ein Wunsch wurde geäußert beim Ticketing – weg von eventim zu kommen wäre toll.

Im Nachgang brachten sich die anwesenden Fans ein und auf dem Podium wurde geantwortet. Bezüglich der Freikarten, die derzeit durch die Medien gehen, sei es ärgerlich, daß der Verein negativ dargestellt werde. Wir haben hier nach Ansicht des Vertriebs nichts falsch gemacht. Schlagzeilen wie „Steuerfahndung beim FCSP“ schaden und nerven. Zu den LED Banden wurde angeführt, daß diese nachhaltiger, direkter seien – das wurde intern vorab erhebnisoffen diskutiert. Ohne Animation, nicht wie bei anderen Vereinen. Für den Fanladen war das eine Auseinandersetzung. Den Ausschlag haben Kostengründe gegeben, auch der Umweltschutz war überzeugend, insgesamt ein lange begleiteter Prozeß. Auf die Fannachfrage, im Pokal gebe es diesbezüglich keine Mitsprache, ob dann doch Animationen kommen würden, wurde offen geantwortet, daß diesbezüglich nicht mit dem Pokal gerechnet wurde. Eine Einstellung, die wohl auch von Fanseite geteilt wird…

Deutlich wurde ein gewisser Limosponsor kritisiert, der sich über Gegner an einem Spieltag lustig macht. Im Gegensatz zu den Fans haben hier Vertrieb und Marketing dies nur als dämlich und nicht als Verstoß gegen unsere Werte gesehen, obwohl dies in den genannten Leitlinien explizit anders steht. Es bleibt zu hoffen, daß sich hier doch eine stärkere Haltung gegenüber dieser Bandenwerbung im Verein durchsetzt. Auch, daß einer Band wie Boss Hoss eine Plattform gegeben wurde, stieß deutlich auf Ablehnung. Ebenso wurde manches Merch als sexistisch benannt und eine stärkere Sensibilität hier eingefordert.

Auch der Griff ins Klo in dieser Saison mit dem „Totenkopf“ (also ausgeschrieben anstelle des Symbols) wurde nochmals aufgegriffen. Für den Vertrieb ein positiver Aufreger, selbst die T-Shirts verkaufen sich tatsächlich. Von Fanseite war hier deutliche Mißstimmung zu hören. Ein spannender Aspekt wurde dabei mit einer Stellvertreterpolitik durch Vereinsverteter benannt, die das Potential habe, die Fans zu verdrängen. Früher standen die im Vordergrund. Der Verein hat hier Werte übernommen und präsentiert diese selbst. Einerseits bestehe dadurch die Gefahr, daß dadurch Engagement in der Fanszene abstirbt. Andererseits wird durch das neue Marketing, das ironisch gemeint ist, das entsprechende Auftreten der Fans aufgegriffen und diesen dadurch quasi weggenommen. Ein Zurücknehmen würde hier besser wirken. Oder aber das genaue Gegenteil, wenn die politischen Inhalte stimmen, wie eben beim CSD T-Shirt. Fans wollen sich nicht als Teil einer Marketingstrategie fühlen. Zu viel Marketing im Verein verdrängt Fans. Der Verein müsse nicht alles mitmachen.

Weitere Partner wie UA oder Wettanbieter wurden explizit angeprochen. Gerade letzterer in Bezug auf die Problematik der Spielsucht, wogegen ja auch für Nachwuchsspieler Kurse angeboten werden und dem sich da ergebenden Widerspruch. Auch fehlende Frauentrikots, was an einer entsprechenden Nachfrage liegen würde, gegenderte Größen, was teilweise angepaßt werden könnte, sowie die mangelnde Möglichkeit, Tickets an gemäß den Werten erzogenen Nachwuchs weitergeben zu können, woei unser Bierpartner (nicht alle produzieren soviel, wie hier getrunken wird…) wurde angesprochen bzw. kritisiert. Außerdem wurde die Bereitschaft, problematische Vertragspartner schneller herauszuwerfen, auch wenn es wirtschaftliche Nachteile bringen würde, gefordert. Geschlossen wurde mit der Erkenntnis, diese Diskussion sollte regelmäßig, vielleicht einmal pro Saison, stattfinden.

Gerade zum Ende hin habe ich viel gekürzt, aber wer sich hier noch einbringen will, wird offensichtlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder Gelegenheit dazu finden…

Es gab ja noch ein Spiel an diesem Wochenende und zwar jenes in Dresden. USP hat eine Auswärtsfahrt mit dem Zug organisiert und allgemein war offensichtlich viel unterwegs und vor Ort los, was so auf twitter mitzubekommen war. Wie schon nicht anders zu erwarten war, leider, zeigten sich die Heimfans von ihrer schlechtesten Seite – und auch der Ordnerdienst war ein Griff ins tiefbraune Klo, siehe https://twitter.com/Fanhilfe_FCSP/status/1168097695598350336 und https://www.kicker.de/756952/artikel/verabscheuungswuerdig_dresden-arbeitet-die-fan-entgleisungen-auf/2bundesliga zu den menschenverachtenden Tapeten aus dem Heimblock (zu den link aber die Anmerkung, daß die Probleme zwischen den Fanlagern nicht erst durch das Opfermythos-Banner bei uns ausgelöst wurde, was für eine verfälschende Darstellung, die sich nicht nur hier eingebürgert hat und bei jedem Fehlverhalten von denen immer wieder ausgekramt wird, das nervt). Selbst war ich ja nicht vor Ort, hier sind die entsprechenden Stimmen anderweitig nachzulesen.

Das Spiel selbst war aber auch am Bildschirm gut zu verfolgen. Besonders in der ersten Halbzeit, denn da lief es einfach nur derart phantastisch bei uns, daß überall verwundertes Augenreiben angesagt war und zwar unabhängig davon, wo und wie das Spiel verfolgt wurde. Wir spielten die Gastgeber einfach nur an die Wand. Gerade die erste Hälfte wurde derart dominiert, daß das Ergebnis nach 45 Minuten fast schon dazu passend zu nennen wäre – wenn die Torschußbilanz auch ein wenig schlichter ausfiel. Wir haben einfach unsere Gelegenheiten genutzt und, was noch wichtiger auf lange Sicht gesehen ist, auch gut herausgespielt. Gerade Mats als dreifacher Vorlagengeber und der Doppeltorschütze Diamantakos haben einfach herausragend performt, Sobota konnt auch noch treffen und mit dem 0-3 hätten wir auch in die Pause gehen müssen, leider fingen wir uns den ersten Gegentreffer zum 1-3 ein.

Dieser sollte dann, wie zu befürchten war, zu dem in dieser Saison schon öfters erlebten Einbruch am Ende führen, auch wenn bei den Gegentreffern, vor allem beim letzten, unser Held vom letzten Spieltag, Himmelmann nämlich, entscheidenden Anteil hatte. Ein gebrauchter Tag nach einem genialen am letzten Spieltag, so spielt halt manchmal das Leben. Wir sind halt alle nur Menschen und natürlich stehen wir klar weiter hinter ihm, so etwas kommt leider vor. Und ärgert ihn natürlich am meisten. Und natürlich auch, weil wir das Spiel so aus der Hand gegeben haben – ausgerechnet natürlich, nachdem sich die Gastgeber gerade selbst dezimierten, als der Schiri auf Zuruf des VAR den Tritt von hinten gegen den eingewechselten Conteh, der für Sobota kam und deutlich Gefahr schuf, zu Recht mit Rot ahndete. Wobei der VAR trotzdem abgeschafft gehört, der zerstört einfach das Spiel als solches. Das ist wie mit den Montagsspielen, die abgeschafft gehören, auch wenn wir dabei so oft gut ausgesehen haben. Die Nachteile überwiegen, vor allem aus der Sicht der Stadiongehenden – bei beiden kritisierten Punkten übrigens…

Der Auftritt in Dresden war ein Höhepunkt und ein tiefer Fall in einem. Gerade vor dem Derby ein Nackenschlag, der noch verdaut werden muß. Andererseits eben auch ein Weckruf, vielleicht, der die nötigen Kräfte, die wird dringend brauchen werden, freisetzen könnte. Die Vorstädter stehen nicht umsonst da ganz oben in der Tabelle und haben sich nicht nur vor der Saison entscheidend auf fast allen Positionen verstärkt, sie haben auch bis zum Schluß der Transferperiode noch kräftig nachgelegt. Das wird fast noch schwerer als das Pokalspiel gegen die Eintracht für uns. Die Kräfteverhältnisse sind in dieser Spielzeit im Gegensatz zur letzten wieder eindeutig unausgeglichen zu unseren Lasten, wenigstens das gibt zumindest die Hoffnung, daß dies uns nicht irgendwie hemmt, wie es beim letzten Aufeinandertreffen der Fall zu sein schien. Diesmal können wir eigentlich nur verlieren und das deutlich, zumindest von dem zu erwartenden Spielausgang her – das motiviert ganz anders als ein überraschend ausgeglichenes Match gegen die Vorstadt.

Hinzu kommt, daß wir ja auch noch zwei weitere Neuzugänge haben, die zu diesem Spiel dann auch im Kader stehen könnten – ein Willkommen an Youba Diarra, ausgeliehen bis Saisonende von RB Salzburg, und Sebastian Ohlsson – der ersten festen Verpflichtung unseres neuen Sportchefs, wenn auch nur für knapp zwei Jahre trotz einer Ablösesumme, warum auch immer. Einen Rechtsverteidiger brauchen wir aber definitiv, auch perspektivisch gesehen, denn Kalla wird nicht ewig bei uns spielen können und Luhukay setzt aktuell ja auch nicht auf die Alternativen, selbst Miyaichi mußte da hinten schon aushelfen, obwohl wir ja auch andere im Kader für die Position hätten. Aber ein Trainer hat halt so eigene Vorstellungen und offensichtlich paßt dieser Spieler besser dazu. Wie auch immer, willkommen, helft uns gerne weiter! Ob nun schon beim Derby oder im Laufe der Saison, das werden wir sehen. In diesen Tagen wird jedenfalls deutlich, gerade nach den Wahlen in Sachsen, was wir an unserem Verein und unserer Fanszene haben. Siehe auch https://www.fcstpauli.com/news/interview-mit-joshi-von-der-skatepunk-band-zsk/ Und auch beim Derby wird das so sein. Forza St. Pauli!

Mehr zum Spiel:
https://www.magischerfc.de/2019/09/zuviel-mist-fuer-einen-tag/
http://millernton.de/2019/09/03/nach-dem-spiel-dynamo-dresden-a-spieltag-5-saison-2019-20/
https://fcspsouthendscum.wordpress.com/2019/09/02/matchday-05-dynamo-dresden-vs-fc-sankt-pauli-3-3/