Eigentlich war ja abzusehen, daß sich die Presse auf den Vorfall im Schalke-Heimspiel, siehe http://kleinertod.wordpress.com/2011/04/03/april-april-der-heimspielschock-gegen-schalke/, stürzen würde wie ein Rudel Haie auf eine Blutspur im Wasser. Mal ganz abgesehen davon, daß Gegenstände aufs Spielfeld werfen oder sonstwohin, wo Menschen gefährdet werden können, gar nicht geht und der von einem halb gefüllten Getränkebecher getroffene Linienrichter eine schlimme Sache war – was jetzt daraus gemacht wird, das sprengt die Grenzen des Vorfalls um ein Vielfaches. Was ich so spannend dabei finde, daß ist die durchweg vorzufindende Vermischung von der neu entdeckten Krise am Millerntor mit den Sozialromantikern, die mal so nebenbei nicht nur für den Abstieg, sondern irgendwie auch sonst für das aktuelle „Problem“ bei St. Pauli herhalten müssen.
Auf den ersten Blick scheinbar halbwegs vernünftig erkennt die Welt in http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article13061516/Der-Mythos-broeckelt.html, daß die „negativen Vorkommnisse“, zu der allerdings die Sozialromantiker, die angeblich auch noch gegen jeglichen Kommerz seien, in einem Rundumschlag genaus gezählt werden wie die Verstrickungen in den Wettskandal, nicht „direkt“ in einen „Zusammenhang“ stehen würden. Also mit anderen Worten, indirekt nach Auffassung des Schreiberlings natürlich schon, sonst bräuchte man dies so nicht zu schreiben und auch kaum in dem Kommentar zu erwähnen. Der „Mythos“ würde aufgrund der zahlreichen Vorkommnisse dieser Saison „bröckeln“ – und hier wurden die Sozialromantiker genauso gezählt wie der Bierbecherwurf. Der Artikel endet mit dem Ruf nach einem starken Vereinspräsidenten, was ich hier auch nicht unerwähnt lassen möchte, da ich es für genauso absurd wie das vorweg Geschriebene halte.
Der Kommentator des NDR geht mit seinem Online-Artikel noch ein Stückchen weiter: http://www.ndr.de/sport/fussball/bundesliga/gecks163.html – und beschwört mit solch absurden Sätzen wie „Keine „Paadie“ mehr am Millerntor“ (selbst wenn ein Spiel verloren geht) das unsägliche „Kult“-Gespenst zum hunderttausendstenmale wieder hervor, um dann mit „statt dessen blindwütige Attacken, sind das Letzte, was Fußball-Deutschland gebrauchen kann“ die Behauptung aufzustellen, daß diese Würfe das aktuelle Fanbild vom FCSP abgeben würde. Hier sehe ich nichts anderes als den Versuch, das veraltete „Kultklub“-Bild vom FCSP mit einer neuen, häßlichen Fratze zu ersetzen. So einfach kann man es sich als Journalist machen. Ja, er geht noch weiter, für ihn sind die Sozialromantiker und der FCSP auf einmal sogar ein und dasselbe, zieht er doch das Fazit, die Sozialromantiker (die er auch noch in Anführungszeichen setzt) seien „in der Normalität angekommen – den „ganz großen Traum“ träumt man auf St. Pauli nicht mehr.“ Da stelle ich mir doch die Frage, was der Kommentator hier für Träume hat – und was Fußball-Deutschland damit zu tun hat. Den Sozialromantikern ging es noch nie darum, daß der Verein einen großen sportlichen Erfolg einfährt oder die Klasse um jeden Preis hält – davon steht in der Petition nichts. Darum geht es bei der Bring Back Sankt Pauli – Bewegung auch schlicht und ergreifend gar nicht. Natürlich wird sportlicher Erfolg nicht abgelehnt, aber das war noch nie St. Pauli, ebensowenig eine einzige „Paadie“. Die einzigen, die jetzt mit dem Feiern aufhören, werden diejenigen sein, die als Modefan ausschließlich einen sportlich erfolgreichen Verein unterstützen – und auf diese Leute können wir am Millerntor nun wirklich gut verzichten.
Das Abendblatt hat auch etwas beizutragen, http://www.abendblatt.de/sport/fussball/st-pauli/article1844289/Der-etwas-andere-Verein-aus-Hamburg.html, hier werden alle Ereignisse beim FCSP in dieser Saison insgesamt als „Nebenschauplätze“ beschrieben, die vom sportlichen Erfolg „ablenken“ würden – und damit indirekt auch verhindert hätten. Daß sich bei uns die wenigsten nur mit Fußball beschäftigen, macht ja gerade die Eigenheit der Fanszene des FCSP aus – daß dieses jetzt als Grund für den wahrscheinlich bevorstehenden Abstieg angeführt wird, ist hingegen nichts weiter als der Gedankengang eines Schreiberlings. Der FC St. Pauli hat seine Besonderheit, die ihm gerade jene enorme Unterstützung auch in sportlich erfolglosen Zeiten einbringt, die ihn sowohl jetzt begleitet als auch den Aufstieg von der dritten bis hin in die erste überhaupt möglich gemacht hatte. Viel schwerer wiegen die enormen Verletzungssorgen, die einen Kader wie den des FCSP schwerer mitnehmen als bei einem finanzkräftigeren Verein, was im Artikel aber auch erwähnt wird.
Auch Sport1 sieht ein Ende der angeblich „heilen St.Pauli-Welt“ (war die jemals heile?) – http://www.sport1.de/de/fussball/fussball_bundesliga/artikel_375306.html – und erwähnt wenigstens noch die tolle Stimmung am Millerntor beim Schalke-Spiel, die durch den Treffer ein unrühmliches Ende fand. An sich werden hier die Sozialromantiker vernünftig wiedergegeben, doch die Schlußfolgerung, daß dieser Konflikt am „Zusammengehörigkeitsgefühl“, welches „lange Zeit der einzige Wettbewerbsvorteil“ gewesen sein solle, gezehrt hätte, wird dann als Satz insgesamt absurd. Wir waren noch nie eine einzige „Eintracht“, lediglich die Mannschaft wurde stets immer und bedingungslos unterstützt, woran sich in dieser Saison und insbesondere durch die Sozialromantiker auch nichts geändert hat.
Für mich scheint der mediale Abgesang auf die „Paadie“-Welt am Millerntor insgesamt auch eine große Chance für den Verein zu sein – womöglich erkennen endlich mal einige der „Paadie“-suchenden Modefans, daß sie am Millerntor nicht fündig werden und bleiben in Zukunft weg. Vielleicht fliegen dann auch weniger Gegenstände aufs Feld… Sympathie von falscher Seite haben wir noch nie gebraucht. Darauf könnten wir verzichten – auf den Jolly Rouge hingegen nicht.
Zum gleichen Thema, wenn auch auf das Abendblatt beschränkt, auch Ring2: http://www.ring2.de/archives/das-ambivalente-wesen-des-st-paulianers/. Sehr schön auch der nachfolgende Gedankengang: http://stpauli.nu/?p=2360 – wer braucht heutzutage die klassischen Medien noch?